Home  >  Uruguay > Wirtschaft > Justus von Liebig

Extractum Carnis Liebig:

"Kräftigungsmittel" vom Río Uruguay

Justus von Liebig (1803-1873). ©Justus-Liebig Gesellschaft zu Gießen e.V.

Justus von Liebig (1803-1873). ©Justus-Liebig Gesellschaft zu Gießen e.V.

Justus von Liebig, der berühmteste deutsche Chemiker des 19. Jahrhunderts, der Erfinder des Backpulvers, des Chloroforms, der Sicherheitszündhölzer und des Mineraldüngers, war ein schlechter Schüler. Am Gymnasium – das er ohne Abschluss verließ – beschimpfte ihn sein Lehrer als "Schafskopf", dem es nicht einmal zur Apothekerlehre reichen würde. Als Liebig 16 Jahre alt war, scheiterte seine Apothekerlehre tatsächlich: Er wurde fristlos entlassen, weil er im Dachstuhl des Hauses seines Lehrherrn experimentiert und eine heftige Explosion ausgelöst hatte. Mit 17 Jahren begann er jedoch das Studium der Chemie an der Universität Bonn. Er setzte es mit einem deutschen Stipendium in Paris fort und promovierte bereits im Alter von 20 Jahren "in absentia". Alexander von Humboldt wurde auf ihn aufmerksam und empfahl den damals 21jährigen für eine Professur in Gießen: Liebig erhielt die Stelle.

Französisches Werbeplakat für Liebigs Fleischextrakt mit den Hinweisen "besonders geeignet für Haushalt und Kranke" und "Vor Nachahmungen wird gewarnt".  ©Justus-Liebig Gesellschaft zu Gießen e.V.

Französisches Werbeplakat für Liebigs Fleischextrakt mit den Hinweisen "besonders geeignet für Haushalt und Kranke" und "Vor Nachahmungen wird gewarnt". ©Justus-Liebig Gesellschaft zu Gießen e.V.

Seine Vorlesungen wurden sehr beliebt. Liebig experimentierte mit Getreide, Brot, pflanzlichen und tierischen Fetten und auch Fleisch. Schließlich entwickelte er für Kranke, die keine feste Nahrung zu sich nehmen konnten, ein "kräftigendes Nahrungsmittel": Durch einen langwierigen Prozess des kalten und heißen Wässerns und Reduzierens von Rindfleisch entstand ein sirupartiger "Fleischextrakt". Später stellte Liebig sogar ein Pulver her, das aufgegossen und gekocht werden konnte.

Bis 1984 wurde in Fray Bentos (Uruguay) Liebigs Fleischextrakt hergestellt, danach vor allem Corned Beef und Rinderzungen. Heute ist der Komplex ein Industriemuseum. ©Justus-Liebig Gesellschaft zu Gießen e.V.

Der Fleischextrakt wurde bald darauf in der Hofapotheke des bayerischen Königs von Franz Xaver Pettenkofer nach Liebigs Vorschrift zubereitet und als "Kräftigungsmittel" verkauft. 1852 gelang es dem bayerischen König, Liebig zum Umzug nach München zu überzeugen: Er erbaute ihm ein eigenes Institutsgebäude an der Universität mit einem nach den Vorstellungen Liebigs eingerichteten Labor.

Produktion kleiner Blechdosen für Corned Beef und Rinderzungen, die berühmten "tongues to keep". ©Justus-Liebig Gesellschaft zu Gießen e.V.

Produktion kleiner Blechdosen für Corned Beef und Rinderzungen, die berühmten "tongues to keep". ©Justus-Liebig Gesellschaft zu Gießen e.V.

Der "Extractum Carnis" war die einzige Erfindung, die Liebig zu Geld machte: Sie wurde die "Mutter aller Fertigsuppen und Brühwürfel" und machte ihn weltberühmt und wohlhabend. 1864 wurde sie auf den Markt gebracht und war sofort ein Verkaufserfolg. Nach heutigem Geld gerechnet, verdiente Liebig damit 2 bis 3 Millionen Euro.
Bis es so weit war, gab es allerdings ein Problem zu lösen: Um ein Kilo seines Extrakts herzustellen, benötigte Liebig 32 kg bestes Muskelfleisch vom Rind. Damit war sein Produkt in Deutschland für die meisten Menschen unbezahlbar. Ein Zufall und ein deutscher Ingenieur, Georg Christian Giebert, halfen jedoch, dieses Problem zu lösen.

Große Blechbehälter für die Verschiffung von Fleischextrakt nach Europa. ©Justus-Liebig Gesellschaft zu Gießen e.V.

Giebert baute Straßen in Brasilien. 1861 besuchte er seinen Freund August Hoffmann in Uruguay, der dort 1858 die Siedlung "Independencia" und den Hafen "Fray Bentos" gegründet hatte. Auf dem Hafengelände gab es eine große Salzfleischfabrik. Dort sah Giebert, dass tausende von Rindern nur wegen weniger Filetstücke, ihrer Häute, Hörner und Knochen geschlachtet wurden und der weitaus größte Teil des Fleisches als Abfall angesehen wurde. Da die Eismaschine für Kühltransporte noch nicht erfunden war, konnte man Fleisch nur nutzen, indem man es an Ort und Stelle frisch verzehrte oder verarbeitete.

Giebert hatte Liebigs "Chemische Briefe" gelesen und vom "Fleischextrakt" gehört. Er reiste nach München, kaufte und probierte den Extrakt, besuchte Liebig und schlug ihm vor, in Uruguay eine Fleischextrakt-Fabrik zu gründen: Liebig stimmte zu, verlangte aber, dass er die Qualität des Produkts überwachen dürfe. Giebert besorgte von befreundeten Kaufleuten in Antwerpen das Startkapital und ließ in England die nötigen Maschinen bauen. Schon 1862 konnte er die ersten Proben des in Uruguay hergestellten Fleischextrakts an Liebig schicken.

Sammler schätzen, dass insgesamt 2000 Serien von je sechs "Liebig-Bildchen" produziert wurden. Ein komplett gefülltes Liebig-Album der ersten Serien ist heute unter Liebhabern über 5000 Euro wert. ©Justus-Liebig Gesellschaft zu Gießen e.V.

Sammler schätzen, dass insgesamt 2000 Serien von je sechs "Liebig-Bildchen" produziert wurden. Ein komplett gefülltes Liebig-Album der ersten Serien ist heute unter Liebhabern über 5000 Euro wert. ©Justus-Liebig Gesellschaft zu Gießen e.V.

Liebig schrieb später: "… ich kann zufrieden sagen, dass die Qualität der Proben viel besser ist, als ich erwartet hatte, eben weil das Fleisch aus fast wilden Tieren herkommt. Herr Giebert wünschte, daß der Fleischextrakt meinen Namen trage: 'Extractum Carnis Liebig'. Da er nach meiner Methode gemacht worden war, sagte ich Ja …" (Volhard 1909).

1864 kamen 23 t Extrakt aus der Fabrik "Fray Bentos" bei Independencia; 1871 waren es bereits 421 t. Im Jahr 1908 erreichte die Produktion ihren Höchststand. In diesem Jahr  wurden 224 406 Rinder geschlachtet. 1913 waren in "Fray Bentos" 4000 Arbeiter beschäftigt.

Die geringen Herstellungskosten in Uruguay machten den Extrakt nun für jedermann erschwinglich: Er wurde ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung des Hungers und der Mangelernährung im beginnenden Industriezeitalter.

(Günther Klaus Judel)

Literatur:

  • Heilenz, Siegfried. 1988 (2. Auflage). Das Liebig-Museum in Gießen. Führer durch das Museum und ein Liebig-Porträt, aktuell kommentiert. Gießen: Verlag der Ferber'schen Universitätsbuchhandlung.
  • Goebel, Götz (R). Die Fertigsuppe des Herrn von Liebig. Dokumentarfilm, col., 30 min. SWR 2009.
  • Judel, Günther Klaus. 2003. Die Geschichte von Liebigs Fleischextrakt. Zur populärsten Erfindung des berühmten Chemikers. In: Spiegel der Forschung 20,1:6-17. [Universität Giessen]
  • Volhard, Jakob. 1909. Justus von Liebig. 2 Bände. Leipzig: Barth.