Der lange Weg der Masken
durch Raum und Zeit
"Daß die bösen Krankheiten und alle üblen Dinge nicht herbeikämen - darauf wirkte Großsonnenmaske mit seinen Worten ein. Das haben die Väter und Priester erzählt."
Preuss 1926:397
Von rituellen Paraphernalia zur Ware
Von November 1914 bis April 1915 forschte der Archäologe und Ethnologe Konrad Theodor Preuss bei den Kágaba in der Sierra Nevada de Santa Marta in Kolumbien. Er wollte über die Analyse von Ritualen, Mythen und Gesänge zeitgenössischer ethnischer Gruppen eine bessere Grundlage für das Studium religiöser Vorstellungen im vorspanischen Amerika schaffen.
Preuss hatte sich zu einer ethnologischen Feldforschung entschlossen, da er fürchtete, der Krieg könne weitere Geldsendungen aus Deutschland unterbrechen. Er sollte Recht behalten: Bis 1919 blieb er in Kolumbien und schloss die Manuskripte für drei Bücher ab. Als Kustos des damals Königlichen Museums für Völkerkunde in Berlin konnte Preuss auch eine repräsentative Sammlung ethnographischer und archäologischer Objekte für Berlin zusammentragen, darunter eine Reihe aussergewöhnlicher Masken.
Masken und andere rituelle Paraphernalia, waren allerdings - damals wie heute - eigentlich unverkäuflich. Preuss nutzte einen Erbstreit zwischen autochthonen Priestern, um diese Raritäten zu erwerben.
Die Maske als Medium des Perspektivenwechsels für die Kágaba
Die Masken spielen in der Kultur der Kágaba eine sehr wichtige Rolle. Nach den Vorstellungen der Kágaba verschafft eine Maske ihrem Träger den Zugang in eine andere Welt. In der Kágaba-Mythe vom Maskenmacher Duginaui wird erklärt, wie die Maske einen derartigen Perspektivenwechsel ermöglicht. Durch die Maske bekommt der Kágaba-Tänzer einen Einblick in die Welt, die sich jenseits der für die Sterblichen sichtbaren Welt befindet. Es ist die Welt der Totengeister, die Welt der Sonne, des Gewitters, der Gewässer und der Tiere. In ihrer Lebenswelt agieren die Geister, Tiere und Naturphänomene als soziale Wesen, vergleichbar den Menschen.
In den Ritualen des Jahreszyklus ist es die Aufgabe von Tänzern und Maskenträgern, mit diesen außermenschlichen Wesen und Mächten in Verbindung zu treten, um für Regen oder Trockenheit zu sorgen. Zum einen werden den mythischen Ahnen und Verstorbenen Opferungen dargereicht, die als "pagamento" – Zahlungen – bezeichnet werden. Da es sich um Interaktionen mit einer "verkehrten Welt" handelt, sind auch die Handlungen "verkehrt". Anstelle von Lebensmitteln in großen Säcken werden pulverisierte Steine in kleinen Päckchen geopfert. Zum anderen setzt man sich eine Maske aus einer anderen, mythischen Zeit auf. Sie versetzt ihren Träger in genau diese mythische Zeit und deren Lebenswelt: Durch die Augen der Maske sieht er deren Bewohner so, wie diese sich selbst sehen: als Menschen. Die Bewohner der mythischen Lebenswelt sehen wiederum ihn als Ihresgleichen an, da er sich durch die Maske ihnen "anverwandelt" hat. Aufgrund dieses Perspektivenwechsels kann er wie ein mythisches Wesen agieren und so im Auftrag der Kágaba bei den Naturgeistern und Totengeistern aktiv werden. Eine andere Möglichkeit für die Kágaba, mit der "anderen Welt" Kontakt aufzunehmen, ist die Divination mit archäologischen Steinperlen.
Die archäometrische Datierung als Grundlage eines Perspektivenwechsels der Wissenschaftler
Preuss, der erste Ethnograph der Kágaba, konnte sich die Nutzung von archäologischen Objekten in Ritualen einer zeitgenössischen indigenen Gruppe nicht erklären. Er nannte dieses Phänomen deshalb "widersinnig".
Es war erst ein wissenschaftlicher Perspektivenwechsel erforderlich, um Klarheit zu schaffen. Durch AMS-Analysen (Accelerator Mass Spectrometry) konnte das Alter von zwei der von Preuss gekauften Kágaba-Masken sicher bestimmt werden. Die Datierungen ergaben kalibrierte Daten von 1440 n.Chr. bzw. 1470 n.Chr. Die Analysen belegten also, dass es sich bei den Masken der Kágaba-Priester um vorspanische Objekte handelt. Sie hatten also sowohl archäologische Perlen als auch archäologische Masken benutzt. In der Fachliteratur war dies bereits vermutet worden; genaue Belege hatten jedoch gefehlt.
Die von den Kágaba noch im 20. Jahrhundert benutzten Masken, die Preuss erworben hatte, stammen also aus dem 15. Jahrhundert. Sie wurden damals anlässlich der Gründung eines Tempels hergestellt und seither von einer Priester-Generation zur nächsten vererbt. Diese "direkte" Verbindung zu einem Ursprung in "mythischer" Zeit scheint also für die Kágaba wichtig gewesen zu sein. Der Besitz der Maske, des rituellen Objekts, legitimiert die Macht und das Prestige des Priesters. Die religiöse Macht ist nicht personalisiert, sie ist quasi "objektiviert".
(Manuela Fischer)
- Kurzbiografie Konrad Theodor Preuss
- Werke von Konrad Theodor Preuss in der Bibliothek des Ibero-Amerikanischen Instituts, Berlin
Literatur
- Fischer, Manuela. 1990. Ordnungsprinzipien in den Mythen der Kágaba der Sierra Nevada von Santa Marta, Kolumbien. Bonn: Holos Verlag.
- Oyuela-Caycedo, Augusto, und Manuela Fischer. 2006. Ritual Paraphernalia and the Foundation of Religious Temples: The Case of the Tairona-Kágaba/Kogi, Sierra Nevada de Santa Marta, Colombia. In: Baessler-Archiv 54:145-162.
- Preuss, Konrad Theodor. 1919-1920. Forschungsreise zu den Kágaba-Indianern der Sierra Nevada de Santa Marta in Kolumbien II. In: Anthropos 14-15:314-404, 1040-1079.
- Preuss, Konrad Theodor. 1926. Forschungsreisen zu den Kágaba. Mödling bei Wien: Administration des Anthropos.
- Preuss, Konrad Theodor. 1993. Visita a los indígenas kágabas de la Sierra Nevada de Santa Marta. Recopilación de textos y estudio lingüístico. Bogotá: Instituto Colombiano de Antropología.