Fotogemälde:
Hugo Brehmes pittoreskes Mexiko
Mexiko war die zweite Heimat des Deutschen Hugo Brehme (Eisenach 1882 – Mexiko-Stadt 1954). Er zählt zu den bedeutendsten lateinamerikanischen Fotografen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Viele seiner Fotografien bannen ein der Zeit entrücktes Mexiko aufs Papier - ein idyllisches Land, in dem der technische Fortschritt noch kaum Spuren hinterlassen zu haben scheint. Damit weckte Brehme die Sehnsucht von Reisenden und Auswanderern, die ihre Heimat in der Hoffnung auf ein ursprünglicheres Leben verließen.
"Voller Enttäuschung über ihre automatisierte Welt der Fabriken kommen Europäer nach Mexiko. […] Sie interessieren sich für den Teil der mexikanischen Kultur, für den sich sonst niemand mehr interessiert. Mexiko ist für sie die Wiedergutmachung des Fiaskos der Industrialisierung…"
Poniatowska 2004:88
Die Landschaftsaufnahmen Brehmes sind geprägt von einer romantischen Suche nach Weite, Schönheit und Exotik. Wie in den Gemälden von Caspar David Friedrich (1774 – 1840) erscheint die Natur darin als großes magisches Gegenüber, als Meditationsobjekt, in dessen Betrachtung meist einzelne Menschen versunken sind. Und ebenso wie bei dem Maler der deutschen Romantik nehmen sich die Menschen gegenüber der Erhabenheit der Natur klein und einsam aus. Auf diese Weise scheint Brehme das durch die Technisierung umgedrehte Machtverhältnis zwischen Natur und Mensch wieder richtigstellen zu wollen. Der Protagonismus der Natur wird zusätzlich hervorgehoben, indem Motive wie beispielsweise über allem thronende Berge durch andere Bildelemente wie Baumstämme, Zweige oder Torbögen gleichsam eingerahmt werden. Die meist stehenden oder sitzenden bzw. kauernden Menschen vermitteln einen in sich ruhenden, in der Natur aufgehobenen Eindruck. Wenn der Blick der Kamera Zeugnisse menschlichen Schaffens miteinbezieht, handelt es sich oft um Architektur aus der Kolonialzeit.
"Dies, die unberührte Landschaft und die unberührte Geschichte, sind die Leitbilder des Tourismus bis heute geblieben. Es ist nichts anderes als der Versuch, den in die Ferne projizierten Wunschtraum der Romantik leibhaftig zu verwirklichen. Je mehr sich die bürgerliche Gesellschaft schloß, desto angestrengter versuchte der Bürger, ihr als Tourist zu entkommen."
Enzensberger 1969:190
Die Bilder Brehmes sind nicht nur fototechnisch von großer Perfektion, sondern auch kunstvoll komponiert wie Gemälde. In der Tradition des Piktoralismus stehend, waren sie häufig retuschiert, was ihren malerischen Ausdruck zusätzlich verstärkte. Ihre Sepiatönung intensivierte die nostalgische Wirkung. Der entzauberten Welt der angehenden Industrieländer setzte Brehme so die ästhetische Überhöhung Mexikos entgegen.
Die Kamera diente Brehme nicht in erster Linie dazu, ein Abbild der vorgefundenen Welt herzustellen. Vielmehr benützte er die Fotografie, eine per se elegische Kunstform (vgl. Sontag 2008:21), um eine ersehnte (vergangene) Wirklichkeit heraufzubeschwören bzw. in das Motiv hineinzuprojizieren. Susan Sontag erklärt dieses Bedürfnis mit der zunehmenden Schnellebigkeit der Geschichte: "Da sich der historische Wandel immer schneller vollzieht, ist die Vergangenheit zum surrealsten Sujet überhaupt geworden – macht sie es möglich, um mit Benjamin zu sprechen, in dem, was entschwindet, eine neue Schönheit zu erkennen. […] Aber die alte Welt kann nicht erneuert werden – schon gar nicht durch Zitate; und dies ist der beklagenswerte, donquichotteske Aspekt der Fotografie." (Sontag 2008:78)
Durch die große Verbreitung, die Brehmes Aufnahmen über Postkarten, Zeitschriften und Bücher fanden, prägte er maßgeblich das Mexiko-Bild im Ausland und förderte den Tourismus. Das von Brehme geschaffene und exportierte Bild basierte wiederum auf Aufnahmen anderer Fotografen, die Brehmes Vorstellung von Mexiko schon vor seiner Ankunft geprägt hatten, wie der Fotokritiker José Antonio Rodríguez beobachtet. Auf diese Weise wurde Mexiko durch den ausländischen Blick in mehrfacher Weise visuell konstruiert (vgl. Rodríguez 2004:31f).
"Der ideologische Einsatz der Fotografie als vertrauenswürdiges Zeugnis verstärkte die Phantasien der europäischen Vorstellungswelt durch Bilder des Malerischen, des Andersartigen, des «Anderen». Das Empfinden Lateinamerikas als exotisch wurde mit Verbreitung der Fotografie in Europa zum Gemeingut, das im europäischen Bewusstsein schließlich als Bild/Konzept der lateinamerikanischen Wirklichkeiten verankert war."
Kossoy 1998:38
Bei aller kritischen Einordnung steht dennoch der besondere Wert des einzigartigen fotografischen Vermächtnisses von Hugo Brehme außer Zweifel. Im Jahr 2002 wurde seine Fotosammlung im Nationalen Fotoarchiv im mexikanischen Pachuca (Bundesstaat Hidalgo) in das Programm "Gedächtnis der Welt" der UNESCO aufgenommen.
"Seine Fotografien, die von unvergleichlicher Schönheit sind, stellen auch einen Tribut an die Ökologie dar. Blättert man in seinem Buch, so wird man mit Trauer bemerken, wie schön unser Land einmal gewesen ist, und wie hässlich es zu werden begonnen hat. Kehren wir zur Quelle zurück, zu diesem korrekten, unter einem schwarzen Tuch versteckten Mann, der es auf das Vortrefflichste verstanden hat, uns das Schönste unserer Landschaften darzubieten, sie uns zu überreichen, damit wir sie hegen und ihnen ein Stück ihrer ursprünglichen Vollkommenheit zurückgeben."
Poniatowska 2004:88
(Diana v. Römer)
Literatur:
- Enzensberger, Hans Magnus. 1969. Eine Theorie des Tourismus. In: Hans Magnus Enzensberger: Einzelheiten I. Bewußtseins-Industrie, 179-205. 5. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Kossoy, Boris. 1998. La fotografía en Latinoamérica en el siglo XIX. La experiencia europea y la experiencia exótica. In: Wendy Watriss und Lois Parkinson Zamora, Hg., Image and Memory: Photography from Latin America 1866-1994. Austin, Texas: University of Texas Press. Zitiert nach Nungesser 2004.
- Nungesser, Michael, ed./Hg., 2004. Hugo Brehme, Fotógrafo: México entre revolución y romanticismo. / Hugo Brehme, Fotograf. Mexiko zwischen Revolution und Romantik. Berlin: Willmuth Arenhövel. [edición bilíngüe / zweisprachige Ausgabe]
- Poniatowska, Elena. 2004. Unterwegs mit Hugo Brehme. In: Nungesser 2004:80-89.
- Rodríguez, José Antonio. 2004. Hugo Brehme – Schöpfer eines nationalen Bildprogramms. In: Nungesser 2004:28-43.
- Sontag, Susan. 2008. Über Fotografie. 18. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp.