Der Grenzgänger:
Begehungen und Berechnungen
"Der Kampf um die Gipfel und Täler Patagoniens wurde nicht auf dem Schlachtfeld, sondern am Schreibtisch ausgetragen."
Marisa von Wysocki, 2009
Hans Steffen wurde am 20. Juli 1865 als Sohn eines Arztes in Fürstenwerder in Brandenburg geboren. Er besuchte ein Berliner Gymnasium und begann danach das Studium der Geschichte an der königlichen Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin, der heutigen Humboldt-Universität. Ab 1884 studierte er außerdem Geographie in Halle und promovierte bereits im Jahre 1886. Im Alter von 24 Jahren wurde er als Dozent für Geschichte und Geographie am Instituto Pedagógico der Universidad de Chile in Santiago berufen. Chile befand sich um 1890 in einem kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung und gewann sowohl regional als auch international an Bedeutung. Der chilenische Staat investierte verstärkt in Erziehung und Bildung. An der Universität wurde das Instituto Pedagógico gegründet. Es wurden zahlreiche ausländische Dozenten, darunter 180 deutsche Lehrer, unter Vertrag genommen – so auch Hans Steffen. Er integrierte sich auffallend schnell und erlernte die spanische Sprache in kürzester Zeit. Mit Enthusiasmus begann er seine Lehrtätigkeit an der Universität.
Der chilenisch-argentinische Grenzkonflikt
Chile und Argentinien waren bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts Teile des spanischen Kolonialgebietes. Mit der Unabhängigkeit von der spanischen Krone und der Herausbildung zweier Nationalstaaten musste die Grenze zwischen beiden Territorien bestimmt werden.
1881 unterzeichneten Chile und Argentinien einen Vertrag, der vorsah, dass südlich des 27. Breitengrades die Grenze an einer gedachten Linie zwischen den höchsten Kordillerengipfeln und zusätzlich entlang der Wasserscheide (divortium aquarum) verlaufen sollte. Allerdings konnten diese beiden Kriterien in Patagonien nicht gleichzeitig erfüllt werden. Denn ab dem 41. Breitengrad wichen die höchsten Andengipfel von dem divortium aquarum stark ab. Mehr als 1000 km Grenze mussten genau bestimmt werden. 1896 übergab man die Entscheidungshoheit über den Grenzverlauf dem britischen Schiedsgericht. Chile und Argentinien entsandten daraufhin Sachverständige ihrer Grenzkommissionen in das weitgehend unerforschte umstrittene Gebiet.
Zwei Landvermesser bei einer Expedition Steffens. ©Ibero-Amerikanisches Institut, Berlin
Hans Steffens Rolle im Grenzkonflikt (1896–1902)
Schon bald nach der Aufnahme seiner pädagogischen Tätigkeit an der Universität in Santiago ließen die Professionalität seines Unterrichts und die schnelle Anpassung an das fremde Land die chilenische Regierung auf Steffen aufmerksam werden. Er wurde 1896 zum wissenschaftlichen Sachverständigen im Grenzstreit mit Argentinien ernannt.
Über einen Zeitraum von sieben Jahren leitete Steffen eine Vielzahl von Expeditionen in Patagonien. Seine Erkenntnisse und Beobachtungen aus den geographischen Untersuchungen trugen wesentlich zum Wissen über diese unzugängliche Region bei.
Im Oktober 1899 wurde Steffen zum wissenschaftlichen Beirat der chilenischen Delegation in London ernannt. Aufgabe dieser Delegation war das Verfassen von Gutachten, die dem englischen Schiedsgericht einen möglichst objektiven Eindruck von der geographischen Beschaffenheit Patagoniens ermöglichen sollten. Der Schiedsspruch des Britischen Königs fiel schließlich im November 1902. Er wies Chile 94000 km² und Argentinien 45000 km² zu. Anschließend wurden von einer britischen Kommission die Grenzsteine an den zugänglichen Punkten gesetzt.
Auch nach 1902 widmete sich Steffen weiterhin den bestimmenden Themen seines Forscherlebens und veröffentlichte zahlreiche Arbeiten über Patagonien und den Grenzfindungsprozess. Aufgrund einer Lungenkrankheit musste er Chile im Jahr 1910 verlassen. Er lebte fortan in der Nähe von Davos in der Schweiz, wo er am 7. April 1936 verstarb. Die Urne mit seiner Asche wurde 2001 durch die chilenische Botschaft aus der Schweiz nach Chile überführt.
(Gregor Wolff)
- Kurzbiografie Hans Steffen
- Werke Hans Steffens in der Bibliothek des Ibero-Amerikanischen Instituts, Berlin
- Nachlass Hans Steffens im Ibero-Amerikanischen Institut, Berlin
Literatur über Hans Steffen:
- Carrasco Domínguez, Germán. S.f. [ca. 2002]. Hans Steffen - pedagogo, geógrafo, explorador, experto en límites. Santiago de Chile: Ed. Universitario.
- Donoso, Ricardo. 1937. El Dr. Hans Steffen. In: Homenaje a la memoria del Dr. Hans Steffen, 5-18. Santiago de Chile: Prensas de la Universidad de Chile.
- Donoso Rauld, Francisco J. 1994. Hans Steffen: el geógrafo de la Patagonia. Santiago de Chile: Ed. Platero.
- Fischer, Oscar von. 1893. Bemerkungen zur topographischen Karte. Anhang zu Hans Steffen: Beiträge zur Topographie und Geologie der andinen Region von Llanquihue. In: Festschrift, Ferdinand Freiherrn von Richthofen zum sechzigsten Geburtstag, am 5. Mai 1893, dargebracht von seinen Schülern, 307-337. Berlin: Dietrich Reimer.
- Gaete Jenicek, Alden A. 1989. Hans Steffen y su obra. In: Revista chilena de historia y geografía 157:267-278.
- Galdames, Luis. 1937. Steffen, Professor. In: Homenaje a la memoria del Dr. Hans Steffen, 19-21. Santiago de Chile: Prensas de la Universidad de Chile.
- Martinic Beros, Mateo. 2005. Los alemanes en la Patagonia Chilena. O.O.: Imprenta Optima.
- Pöhlmann, R[oberto]. 1893. Petrographischer Anhang. Bemerkungen über Gesteine aus Llanquihue. Anhang zu Hans Steffen: Beiträge zur Topographie und Geologie der andinen Region von Llanquihue. In: Festschrift, Ferdinand Freiherrn von Richthofen zum sechzigsten Geburtstag, am 5. Mai 1893, dargebracht von seinen Schülern, 307-337. Berlin: Dietrich Reimer.
- Quelle, Otto. 1937. Zur Erinnerung an Hans Steffen. In: Ibero-Amerikanisches Archiv 10 (1936/1937): 508-510.