Der Sprachensammler:
Walter Lehmann in El Salvador
Für Walter Lehmann war die Archäologie der erste Zugang zu Mesoamerika. Er sammelte bei all seinen Forschungsaufenthalten archäologische Objekte und fertigte in Museen und Privatsammlungen zahlreiche Objektzeichnungen an, so auch in San Salvador, im Museo Nacional und in der Sammlung Deininger. Die größere und bleibende Leistung für die Amerikanistik erbrachte Lehmann aber als Linguist. Sein Buch "Die Sprachen Zentral-Amerikas" galt lange als Standardwerk und liefert auch heute noch wertvolle Informationen.
Lehmanns Vorgehen bei der ethnolinguistischen Datenaufnahme kann als "Rettungsethnographie" umschrieben werden. Er dokumentierte vorrangig vom Aussterben bedrohte Indianersprachen. Dies gelang ihm bisweilen mit dem Glück des Tüchtigen: wenn er etwa auf einer Bahnfahrt einen der letzten Sprecher einer Sprache weit außerhalb seines Wohngebietes traf und befragen konnte.
Lehmanns erste Forschungs- und Sammelreise führte ihn von 1907-1909 nach Costa Rica, Nicaragua, Panama und El Salvador. Dort interessierte er sich besonders für die in vorspanischer Zeit aus Zentralmexiko ins heutige El Salvador eingewanderten Pipil. Für seine Studien der Pipil-Sprache ließ Lehmann in El Salvador Wörterlisten und Glossare von Kollegen und von Muttersprachlern anlegen. Einige wurden ihm von seinen Informanten sogar nach Deutschland geschickt.
Sein Sprachtalent war außergewöhnlich. Zu Vergleichszwecken setzte er sich auch mit der chinesischen Sprache auseinander, deren Tonalität ihn zur "Entdeckung" der Wichtigkeit der Töne in einigen mittelamerikanischen Sprachen führte. Auch auf ganz anderen Gebieten war Lehmann interessiert und informiert. So beschäftigte er sich mit der damals noch wenig bekannten Ethnoastronomie und der Archäoastronomie. Seine Sammeltätigkeit, Schrift- und Bilddokumente betreffend, beschränkte sich nicht auf Amerika.
Für bestimmte Themen erfasste er – weltweit – alle ihm zugänglichen Daten. Dass er auch eine einzigartige Sammlung von tausenden christlicher Heiligenbilder und Votivdrucken hinterließ, deutet das große Interessenspektrum an, das einen wahren Gelehrten auszeichnet.
Sein unbestrittenes Meisterwerk, "Die Sprachen Zentral-Amerikas", erhielt bereits als Manuskript höchstes Lob von Eduard Seler, dem Nestor der deutschen Altamerikanistik. Der bei seinen Kollegen als stolz und selbstbewusst geltende Lehmann kommentierte es selbst ganz bescheiden: "Ich habe mich bemüht, innerhalb der vorgezeichneten Grenzen, des äußerst schwierigen und spröden Stoffes nach Kräften Herr zu werden. Mit Vasco Nuñez de Balboa muß ich jedoch bekennen: Der Mensch gelangt so weit er kann - und nicht so weit er will." (1920)
- Kurzbiografie Walter Lehmann
- Werke Walter Lehmanns in der Bibliothek des Ibero-Amerikanischen Instituts, Berlin
Literatur über Walter Lehmann:
- Dürr, Michael. 1995. Los vocabularios de lenguas indígenas recogidos por Walter Lehmann en la América Latina (1907-1929). In: Indiana 13:173-188. Berlin: Gebr. Mann-Verlag.
- Kutscher, Gerdt. 1939. Zum Gedächtnis von Walter Lehmann. In: Archiv für Anthropologie 25, 2/3:140-149.
- Riese, Berthold. 1983. Walter Lehmann. Eine Bio-Bibliographie. In: Indiana 8 (Gedenkschrift Walter Lehmann, Teil 3):311-341. Berlin: Gebr. Mann-Verlag.
- Stone, Doris Z. 1991. Atlas gráfico de la arqueología de América Central: inventario descriptivo de las obras de arte dibujadas por Walter Lehmann durante su viaje de investigación: objetos de piedra, cerámica y petroglifos. Rekonstruktion des Ms., letzter Stand 1967. Berlin: Ibero-Amerikanisches Institut.
- Torres, María Dolores G. 2009. Visión de Nicaragua y Centroamérica en el legado de Walter Lehmann: el archivo fotográfico de sus viajes 1907-1909. Managua: Instituto de Historia de Nicaragua y Centroamérica de la Universidad Centroamericana.