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Expedition Nr. 24:

zwei Jahre im bolivianischen Amazonien

"... eine äußerst glückliche Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst."
Otto Zerries, 1981

Die Ethnologin Karin Hissink während der "24. Frobenius-Expedition" auf dem Río Beni (27.4.1952 - 13.6.1954)  Foto: Albert Hahn. ©Frobenius-Institut, Frankfurt am Main

Die Ethnologin Karin Hissink während der "24. Frobenius-Expedition" auf dem Río Beni (27.4.1952 - 13.6.1954) Foto: Albert Hahn. ©Frobenius-Institut, Frankfurt am Main

Die Ethnologin Karin Hissink (1907-1981) und ihr späterer Ehemann, der Maler Albert Hahn (1910-1996), forschten gemeinsam zwischen 1952 und 1954 über zwei Jahre bei den damals noch wenig bekannten Indianern im östlichen Tiefland Boliviens. Sie besuchten die Chama, die Chimane und die Tacana, bei letzteren verbrachten sie mehr als ein Jahr. Ihre Sammlung von Mythen der Tacana ist mit 395 Texten bis heute die umfangreichste, die je bei einer südamerikanischen Ethnie aufgezeichnet und publiziert wurde.

Albert Hahn: Siedlung Monday der Chimanen-Indianer, Río Maniqui, Bolivien, 1952. Radierung und Aquarell, 32x20 cm. ©Frobenius-Institut, Frankfurt am Main

Viele der Geschichten erzählen von den Taten und Untaten des oft menschengestaltig auftretenden Waldgeists Einidu, eines Herrn und Beschützers der Tiere. Als Mensch ist er kleinwüchsig, dickbäuchig, dunkelhäutig, über und über behaart und mit einem "pfeilförmigen" Penis ausgestattet. Er trägt einen großen Hut. Einidu ist eine ambivalente Persönlichkeit: Er füttert die Wildschweine mit den Früchten seiner Liane nuni, damit sie ein gutes Wildbret für den Jäger abgeben. Für eine kleine Gabe Koka oder Tabak, in einem winzigen Täschchen vergraben, verhilft er erfolglosen Jägern zu Jagdgeschick und Glück. Er bestraft aber auch diejenigen Jäger, die zu viele Tiere töten oder sie quälen, indem er sie in Insekten, Schlangen oder Buschgeister verwandelt. Oft treibt er auch - indem er seine Verwandlungskünste ausnutzt - einfach nur üble Scherze mit den Menschen. Er präsentiert sich Männern als deren Frau und Frauen in der Gestalt ihres Mannes. Schließlich wird ihm seine unmäßige sexuelle Gier zum Verhängnis: Eine menschliche Frau, der er nachstellt, lockt ihn zum Baden in ein großes Gefäß, worin sie ihn mit kochendem Wasser übergießt. Einidu stirbt - aber eines der vielen Kinder, die er mit Menschenfrauen gezeugt hat, wird zum neuen Einidu.

Albert Hahn: Escalera de Einidu / Leiter des Einidu. Die Liane Bauhinia caulotretus, "nuni" in der Tacana-Sprache. Sie führt zur Wohnung des Einidu, hoch oben in einem Baumloch. ©Frobenius-Institut, Frankfurt am Main

Karin Hissink hat mehrmals den weltberühmten Ethnologen Claude Lévi-Strauss in Paris getroffen. Er sprach mit ihr über sein Anliegen, Mythenmotive auch in der Bildenden Kunst, vor allem der Ornamentik der Indigenen nachzuweisen, um so genre-übergreifende Strukturähnlichkeiten besser zu erkennen. Lévi-Strauss selbst hat dieses Vorgehen in "Der Weg der Masken" (1977) meisterlich vorgeführt. Das Webmuster der Tacana-Indianer, welches "Treppe des Einidu-Waldgeists" heißt, das Gemälde einer Liane desselben Namens - und die mythische Episode über diesen Geist, in der das Motiv Liane als Treppe zu dessen "Haus" vorkommt, entsprechen ganz den Vorstellungen des großen Strukturalisten. Die Beziehungsvielfalt - oder Strukturähnlichkeit - der Codes verschiedener Genres kann also noch rekonstruiert werden: mit einer Skizze eines Museumsobjekts, einem Bild aus einem Archiv und einem ethnografischen Text.

Leiter des Wald- und Buschgeistes Einidu als Webmuster auf Tragbändern und Gürteln. Gezeichnet von Albert Hahn (Hissink und Hahn 1984:113). ©Franz Steiner, Wiesbaden

Leiter des Wald- und Buschgeistes Einidu als Webmuster auf Tragbändern und Gürteln. Gezeichnet von Albert Hahn (Hissink und Hahn 1984:113). ©Franz Steiner, Wiesbaden

Der Band "Die Tacana I: Erzählungsgut. Wiesbaden: Franz Steiner 1961" darf als Karin Hissinks wertvollster Beitrag zur modernen Ethnographie des südamerikanischen Tieflands angesehen werden.

Der Maler Albert Hahn in Bolivien. Foto: Karin Hissink. ©Frobenius-Institut, Frankfurt am Main

Zusammen mit den drei Monographien, die  nach ihrem Tod von Albert Hahn redigiert und mit hunderten von Objektzeichnungen, kunstvollen Porträts und ethnographischen Skizzen und Fotos ausgestattet wurden, stellt sie einen einzigartigen Beitrag zur Kenntnis des an ethnographischen Schätzen so reichen Bolivien dar.



Literatur über Karin Hissink:

  • Beer, Bettina. 2007. Hahn-Hissink, Karin; geb. Hissink. In: Bettina Beer: Frauen in der deutschsprachigen Ethnologie, 73-84. Ein Handbuch. Köln etc.: Böhlau.
  • Haberland, Eike. 1982. Karin Hahn-Hissink (1907-1982). In: Anthropos 77, 3/4:561-563.
  • Trimborn, Herrmann. 1982. Karin Hahn-Hissink 4.11.1907-23.5.1981. In: Zeitschrift für Ethnologie 107,2:3-6.
  • Zerries, Otto. 1981. In memoriam Karin Hahn-Hissink. In: Paideuma 27:3-6. [enthält ein Werkverzeichnis mit 40 weiteren Publikationen Karin Hissinks und Albert Hahns, darunter 20 Titel über bolivianische Ethnien]

Nach Karin Hissinks Tod erschienene Monographien über bolivianische Indianer:

  • Hissink, Karin, und Albert Hahn. 1984. Die Tacana II: Daten zur Kulturgeschichte. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag. [Con resumen en español]
  • Hissink, Karin, und Albert Hahn. 1988. Chama-Indianer: Daten zur Kulturgeschichte. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag. [Con resumen en español]
  • Hissink, Karin, und Albert Hahn. 1989. Chimane: Notizen und Zeichnungen aus Nordost-Bolivien. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag. [Con resumen en español]

Chama-Indianer: 12 Porträts von Albert Hahn

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