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"Verhiesigungs-Verweigerung"

Paul Zech, Dichter, unpassend unangepasst

"Paul Zech schreibt mit der Axt seine Verse ..."
Else Lasker-Schüler (1913) in einem Gedicht über den Freund und Kollegen

Foto: Anatol Sadermann 1941

Foto: Anatol Sadermann 1941

"Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund / ich schrie mir schon die Lungen wund / nach deinem weißen Leib, du Weib ..."  Diese durch Klaus Kinskis Interpretation bekanntgewordenen Verse erschienen zwar in Paul Zechs "Nachdichtungen" der Gedichte Villons; bei Villon selbst findet sich aber keine Vorlage für die "verliebte Ballade für ein Mädchen namens Yssabeau". Es handelt sich also um ein eigenständiges Werk Zechs. Diese Texte wurden erst 1962 publiziert und seither über 300 000 mal verkauft. Paul Zech war 1946 - völlig verarmt - in Buenos Aires gestorben. Man könnte es eine Ironie des Schicksals nennen, dass Paul Zech einige seiner besten Gedichte unter fremdem Namen laufen ließ, während er sich gleichzeitig manchen literarischen Stoff oder Text "aneignete" und als seinen eigenen bezeichnete.

©Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1962, Celestino Piatti

©Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1962, Celestino Piatti

Der 1881 geborene Dichter Paul Zech war vor 1900 eine Zeitlang Hilfsarbeiter unter Tage in Belgien und Frankreich. Ab 1910 arbeitete er als Redakteur und Dramaturg im "Dramatischen Theater" Wilhelm Dieterles, später als Bibliotheksgehilfe. In dieser Zeit gewann er ein Renommee als Lyriker. Auf Anraten Else Lasker-Schülers zog er 1912 nach Berlin, verkehrte dort mit Stefan Zweig, Richard Dehmel und Georg Heym. 1918 erhielt er auf Empfehlung Heinrich Manns den angesehenen Kleistpreis. Im Jahr 1919 finden sich in der "Menschheitsdämmerung", Kurt Pinthus' legendärer Anthologie expressionistischer Lyrik, zwölf Gedichte Paul Zechs. Mitte der zwanziger Jahre zählte er zur literarischen Prominenz Berlins. Seine Werke erschienen bei namhaften Verlagen, wie etwa Hoffmann & Campe oder Ernst Rowohlt. 1926 schrieb Erwin Piscator an der Berliner Volksbühne ein Stück Theatergeschichte: mit der Inszenierung der szenischen Ballade "Das trunkene Schiff" von Paul Zech.

Zech zerstritt sich jedoch mit fast allen Freunden und Gönnern und verhielt sich auch politisch sehr widersprüchlich; er isolierte sich mehr und mehr. Im März 1933 wurde er aus politischen Gründen von seinem Posten als "wissenschaftlicher Hilfsarbeiter" der Berliner Bibliothek entlassen. Vier Monate später wurde entdeckt, dass Zech in großem Stil Bücher entwendet hatte. Ihm drohte ein Prozess, auch wegen unberechtigten Führens des Doktortitels. Er floh, als gescheiterte Existenz, vor der Schöneberger Kriminalpolizei - und nicht als politisch Verfolgter vor den Nationalsozialisten, wie er später gern behauptete - über Wien und Triest zu seinem Bruder nach Argentinien. Dort schrieb er dann aber unermüdlich gegen die Hitler-Diktatur an, - allerdings ohne jeden schriftstellerischen Erfolg.

©Bert Kasties, Stiftung Archiv Akademie der Künste, Berlin

©Bert Kasties, Stiftung Archiv Akademie der Künste, Berlin

Zechs bekanntester Exil-Roman, "Michael M. irrt durch Buenos Aires", ist weitgehend autobiographisch; Zech hatte zuvor schon unter dem Pseudonym "Michel Michael" publiziert. Das Werk zeigt sein Argentinien-Bild und seine über weite Strecken negative, ablehnende Einstellung zur ihn umgebenden Gesellschaft überdeutlich: Die quasi "vorsätzlich" gescheiterte Anpassung an sein Gastland, sein dezidiertes Außenseitertum, sein kultiviertes Selbstmitleid und die gleichzeitige Arroganz und Intoleranz gegenüber der Criollo-Kultur ergeben eine beklemmende Lektüre für heutige Leser. In Buenos Aires wurde Zech nie heimisch - er hatte beschlossen, die "Verhiesigung" zu verweigern.

©Greifenverlag, Rudolstadt/DDR 1955, Herbert Bartholomäus

©Greifenverlag, Rudolstadt/DDR 1955, Herbert Bartholomäus

Zech flüchtete zeitweise in die von ihm idealisierte Welt der Indios. Freilich tat er dies nicht auf tatsächlichen "jahrelangen" Reisen, wie er behauptete, sondern lediglich in seiner Phantasie. Seine Beschreibungen des Lebens der Landbevölkerung, der Indianer und Criollos, sind voller Missverständnisse, sachlicher Fehler und Widersprüche. Sie sind keine ethnographischen Dokumente, sondern poetischer Ausdruck seiner eskapistischen Verklärung des Landlebens, seiner Naturromantik und Zivilisationskritik. Zechs Indianer, mit stereotyp positiven Eigenschaften, kommen den Rousseauschen "edlen Wilden" recht nahe. Sie dienen ihm generell als Kontrastbild zu der von ihm pauschal abgelehnten Criollo-Lebensart. Zech übte dabei aber auch vehemente Kritik am Rassismus, unter dem die indianische Bevölkerung tatsächlich zu leiden hatte.

©Greifenverlag, Rudolstadt/DDR 1952, Kurt Zimmermann

©Greifenverlag, Rudolstadt/DDR 1952, Kurt Zimmermann

Zech, in Argentinien stets wirtschaftlich abhängig von Gönnern und Gläubigern, starb 1946 in Buenos Aires, das er stets als "Lärmstadt" und "ungewollte Haltestelle" in seinem Leben bezeichnet hatte. Seine letzten Jahre verbrachte er bei Elsa de Kusch, der Mutter des argentinischen Philosophen Rodolfo Kusch (1922-1979). Sie beherbergte und verköstigte Zech jahrelang und bezahlte auch sein Begräbnis. Allerdings war sie nie mit Zech verheiratet, obwohl er das einmal behauptete. 1970 wurde Zechs Urne nach Berlin überführt.

Literatur über Paul Zech:

  • Bock, Werner. 1962. Recuerdos de los últimos años de Paul Zech. In: Humboldt 3,9:79-82. Hamburg.
  • Hübner, Alfred. 1975. Das Weltbild im Drama Paul Zechs. Bern/Frankfurt/Main: Peter Lang [Europäische Hochschulschriften, Reihe I, Band 130].
  • Langbehn-Roland, Regula. 1999. Paul Zech y las condiciones del exilio en la Argentina, 1933–1946. Actas del simposio celebrado en Buenos Aires en el cincuentenario de la muerte del poeta, 9-10 de setiembre de 1996. Buenos Aires: Universidad de Buenos Aires, Facultad de Filosofía y Letras.
  • Spitta, Arnold. 1978. Paul Zech im südamerikanischen Exil: 1933-1946; ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Emigration in Argentinien. Berlin: Colloquium-Verlag.
  • Spitta, Arnold. 1992. Exilio en Buenos Aires: la imagen de la ciudad en la obra de Paul Zech. In: América Latina en el pasado, presente y futuro: 1492-1992; Materiales del Coloquio Internacional, Universidad de Rostock, Instituto Latinoamericano, 27 a 29 de septiembre de 1991. Band 1:133-138. Rostock.
  • Spitta, Arnold. 2006. Paul Zech im argentinischen Exil: 1933-1946. Legenden und Leid - ein Schriftsteller ohne Publikum. Berlin: Ibero-Amerikanisches Institut.

Übersetzungen von Texten Zechs ins Spanische:

  • Langbehn-Roland, Regula. 1997. Paul Zech. La Argentina de un poeta alemán en el exilio 1933-1946. Textos traducidos al castellano. Edición e introducción por Regula Roland de Langbehn. Buenos Aires: Universidad de Buenos Aires, Facultad de Filosofía y Letras.